Interview: „Trotz Ritt auf der Rasierklinge: Play-offs und Pokalfinale bleiben unsere Ziele“
Im Interview: VCW-Geschäftsführer Christopher Fetting und Teammanagerin Simona Kosova
Die Fragen stellte Sabine Ursel (Journalistin, Wiesbaden)
„Trotz Ritt auf der Rasierklinge: Play-offs und Pokalfinale bleiben unsere Ziele“
Zur sportlichen Situation
Frau Kosova, während wir dieses Interview führen, laufen die Play-offs zur Deutschen Meisterschaft, allerdings ohne Wiesbadener Beteiligung. Fünf Siege bei 20 Spielen und Tabellenplatz zehn unter elf Teams ist eine ernüchternde Bilanz. Warum hat die Mannschaft nicht wie erhofft performt?
Simona Kosova: Wir peilen jedes Jahr die Play-offs und das Pokalfinale an. In dieser Saison haben leider viele Bausteine einfach nicht gepasst. Bei der Kaderzusammenstellung hatten wir das gleiche spielerische Problem wie im Vorjahr. Wir haben wieder keine richtige Leaderin formen können. Die hätten wir aber dringend gebraucht, auch deshalb, weil wir vier neue Spielerinnen aus den USA und aus Kroatien integrieren mussten. Für drei war die Liga neu. Christian Sossenheimer hat in seinem zweiten Jahr als Head Coach viele Knackpunkte nicht wie erhofft auflösen können.
Lag es an der falschen Einkaufspolitik oder auch der fehlenden Chemie im Team?
Simona Kosova: Man sucht Spielerinnen gezielt nach ihren Positionen aus. Bei ausländischen Athletinnen analysiert man Videos und hofft, dass sich im Verlauf der Saison alle gemeinsam nach vorn entwickeln. Das war aber nicht so. Die Chemie war weniger das Problem, auch wenn manche Spielerinnen die Kommunikation bemängelt haben. Einige wollten härter trainieren, andere haben sich nicht aus ihrer Komfortzone herausbewegt. Um enge Matches noch umzubiegen, müssen die richtigen Signale von der Bank kommen. Die haben nicht ausgereicht bzw. sie kamen bei den Spielerinnen nicht als solche an. Als Team konnten wir nicht die nötige Energie auf den Platz bringen. Es hat einfach das Feuer gefehlt!
Haben die Verträge auch eine Rolle gespielt?
Simona Kosova: Ja. Wir hatten einige Spielerinnen mit Zweijahresverträgen ausgestattet, um mehr Planungssicherheit zu haben. Das war aber nicht gut für die Gesamtperformance.
Hypothetische Frage, die sich für alle Mannschaften stellt: Hätten Fans auf den Rängen für mehr Drive auf dem Platz gesorgt?
Simona Kosova: Ja, das hätte der Mannschaft sicher in vielen Spielsituationen einen Kick gegeben. Aber nochmal: Auch auf dem Platz hätten wir eine Leaderin gebraucht, die vorangeht und den Unterschied macht.
Welche Lehren haben Sie aus der abgelaufenen Saison für die Kaderplanung gezogen?
Simona Kosova: Uns war schon vor dieser Saison bewusst, dass uns gute Angreiferinnen fehlen, die auch mal für 20 Punkte pro Spiel gut sind. Weil wir nur elf statt zwölf Spielerinnen im Kader hatten, gab es nur drei für die Annahmepositionen. Einige Verträge liefen wie gesagt weiter, hier hätten wir Verstärkungen gebraucht. Eine der Lehren ist, dass wir wieder auf Einjahresverträge mit Option auf ein weiteres Jahr setzen. So sind wir bei der Kaderplanung flexibler.
Einfache Formel: Fehlende finanzielle Mittel gleich fehlende spielerische Mittel?
Christopher Fetting: Ja, das war zumindest in der abgelaufenen Saison so. Hinzu kamen aber auch Verletzungen. Manche Spielerinnen hatten extrem wenig Vorbereitungszeit, teilweise fehlten anderthalb Monate. Andere waren aufgrund der deutlich höheren Belastung beim Saisonstart nicht bei 100 Prozent. Die fehlenden finanziellen Mittel plus die Verletzungen konnten wir auf dem Feld mit dieser Mannschaft einfach nicht kompensieren.
„Wir punkten gegenüber anderen Klubs mit vielen Soft Skills“
Die finanzielle Lage wird sich erstmal nicht ändern. An welchen Schrauben können Sie überhaupt noch drehen? Passen Sie die Ziele an?
Christopher Fetting: Unser Saisonziele passen wir definitiv nicht an. Die Play-offs sind wie immer Minimalziel. Mittelfristig wollen wir europäisch spielen. Wir planen derzeit, mit zwölf Spielerinnen in die neue Saison zu gehen. Etwa 50 Prozent sollen dabei aus dem U 23-Bereich kommen. Nach jetzigem Stand erhält aus dem alten Team erstmal nur Mittelblockerin Anna Wruck einen neuen Vertrag. Unser neuer Trainer Benedikt Frank präferiert einen gesunden Mix aus jungen und erfahrenen Spielerinnen. Es wird definitiv weniger ausländische Verpflichtungen geben. Das ist nicht einfach, weil das Reservoir bezahlbarer, guter deutscher Spielerinnen überschaubar ist. Und wir schauen jetzt viel mehr auf Charakter und Einstellung. Wir reden mehr vor einer Verpflichtung. Der Mix muss auch in Sachen Chemie stimmen.
Nach jetzigem Stand erhält also nur nur eine Spielerin aus dem aktuellen Kader einen Vertrag. Was bedeutet das genau?
Christopher Fetting: Wir haben uns entschieden, nur mit einem kleinen Teil des aktuellen Kaders über eine Weiterverpflichtung zu sprechen. Die US-Amerikanerin Anna Wruck bleibt wie gesagt ein weiteres Jahr beim VCW. Mit anderen Spielerinnen sind wir noch in intensiven Gesprächen. Aber zum Volleyball gehören nun einmal auch Abschiede. Die Einjahresverträge unserer US-amerikanischen Zuspielerin Ashley Evans und von Außenangreiferin Marijeta Runjic haben wir nicht verlängert. Und auch einige Spielerinnen, die im zweiten Jahr beim VCW waren, laufen nicht mehr für uns auf. Dazu gehören Lena Vedder, Julia Wenzel und Klara Vyklická. Auch für die VCW-Urgesteine Lisa Stock als Libera und Mittelblockerin Selma Hetmann endet die Zeit beim VCW. Wir wünschen allen Spielerinnen weiterhin sportlich viel Erfolg und danken für ihre Zeit in unserer VCW-Familie.
Bei begrenzten Mitteln: Wie haben Sie Benedikt Frank überzeugen können, von Straubing zum Vorletzten der Liga zu wechseln?
Christopher Fetting: Er weiß, dass er hier sportlich mittelfristig noch einiges bewegen kann, und zwar auch ohne eine zusammengekaufte internationale Truppe. Der Anspruch ist hoch und das motiviert den neuen Coach. Wir sind sehr froh, dass er sich für den VCW entschieden hat. Der Vertrag läuft zunächst zwei Jahre mit Option auf vorzeitige Verlängerung.
Was versprechen Sie sich vom Fokus auf deutschen Spielerinnen?
Christopher Fetting: Wir wollen uns wieder mehr auf unsere Vereinsphilosophie besinnen. Wir waren immer ein Klub, der auf Ausbildung und auf Identifikation setzt. Das bedeutet, dass wir vor allem junge und deutsche Spielerinnen mit Potenzial suchen, die wir weiterentwickeln wollen. Manche spielen vielleicht noch in der zweiten Reihe bei anderen Klubs.
Und mit welchem Argumenten punkten Sie bei Spielerinnen?
Christopher Fetting: Wir punkten gegenüber anderen Klubs mit einem großen Paket, also mit vielen Soft Skills: der Klub als sportliches Flaggschiff der Landeshauptstadt, der Ausbildungsverein mit ambitioniertem neuen Trainer, die Chancen für junge deutsche Spielerinnen, unsere VCW-Familie mit der Nähe zu Fans und Sponsoren, die besondere Halle mit bis zu 2.100 begeisterten Zuschauern, das geplante Nachwuchsleistungszentrum. Und auch das attraktive Wiesbaden mit dem interessanten Umland ist ein Argument.
Simona Kosova: Seit bekannt wurde, dass Benedikt Frank neuer Trainer beim VCW ist, kommen auch Spielerinnen initiativ auf uns zu. Man weiß in Deutschland, dass er Spielerinnen besser machen kann. Sein guter Ruf passt gut zu unserem Verein.
Frau Kosova, Sie waren bereits dreimal slowakische Meisterin, als Sie nach Deutschland gingen. Warum sind Sie 2016 nach Wiesbaden gewechselt? Sie hatten damals ja auch andere Angebote.
Simona Kosova: Ich hatte ja mit den Ladies in Black Aachen schon mehrfach in der Halle am Platz der deutschen Einheit gespielt. Die super Atmosphäre ist etwas Besonderes in Deutschland. Zudem fand ich den Verein und das kämpferische Team immer schon sympathisch. Damals war Wiesbaden allerdings unter den Top sechs der Liga. Das ist nun nicht mehr der Fall, aber es gibt immer noch eine Reihe guter Argumente, die ich bei Gesprächen einbringe. Wir haben zudem eine Geschäftsstelle mit fünf Festangestellten, die täglich mit Trainern und dem restlichen Staff für ein hochprofessionelles Umfeld sorgt. Wir können viel bewegen.
„Der Großteil unserer rund 90 Sponsoren wird weiter an Bord bleiben“
Zur wirtschaftlichen Situation
Herr Fetting, Sie hatten in den vergangenen Monate arg mit der angespannten budgetären Situation zu kämpfen. Wie fällt Ihr Fazit nach der Saison aus?
Christopher Fetting: Unser Ziel war zu überleben – und wir leben noch. Und das ganz klar durch die Liquiditätshilfe des Landes und der Stadt Wiesbaden. Bei der Planung der Ticketeinnahmen, einschließlich der VIPs, sind wir von knapp über 200.000 Euro auf 80.000 Euro runtergegangen. Davon ließ sich bekanntlich gar nichts realisieren, so dass wir auch auf den Fördertopf des Bundes angewiesen waren. Der sah für Profiklubs außer dem Fußball das Erstatten von 80 Prozent der prognostizierten Ticketeinahmen im Vergleich mit 2019 vor. Das war eine riesige Hilfe, auch wenn dieser Bereich im Frauen-Volleyball nur im Schnitt 15 Prozent des Etats ausmacht. Der Rest ist Sponsoring. Für die Saison 2021/2022 ist das Ganze aber weiterhin ein Ritt auf der Rasierklinge.
Wie haben die Sponsoren reagiert?
Christopher Fetting: Der Dreijahresvertrag unseres bisherigen Hauptsponsors IFM Immobilien ist planmäßig im Sommer 2020 ausgelaufen. Wir waren in Gesprächen, um das zu kompensieren. Das ist uns Corona-bedingt leider nicht gelungen. Die gute Nachricht ist aber, dass nach aktuellem Stand ein Großteil unserer rund 90 kleinen und großen Partner an Bord bleiben, dafür sind wir sehr dankbar.
Und das, obwohl es so gut wie keine Netzwerkveranstaltung gab.
Christopher Fetting: Das zeigt, wie stark unsere Partner dem VCW verbunden sind. Wir haben also in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet. Und erst in der Krise zeigt sich ja, ob ein Netzwerk belastbar ist. Rund 70 Prozent der Veranstaltung konnten wir leider nicht durchführen. Wenn es wieder losgeht, wollen wir alle noch intensiver zusammenbringen als vor dem Lockdown. Damit argumentieren wir auch in unseren Gesprächen. Fakt ist aber, dass man ohne große Geldgeber, idealerweise mit überregionaler Strahlkraft, auf Dauer nur kleine Brötchen backen kann. Wir brauchen Spielraum in jeder Hinsicht.
Volleyball ist die Teamsportart Nummer eins im weiblichen Bereich. Das belegen die Zuschauerzahlen in den Hallen und im Fernsehen. Was wird in der kommenden Saison in TV zu sehen sein?
Christopher Fetting: Alle Spiele der ersten Liga sind weiterhin im Stream zu sehen. Wie das Ganze aussehen wird, kann man leider heute noch nicht sagen. Die VBL verhandelt derzeit die Verträge. Ich hoffe auf gute Lösungen für Zuschauer und Vereine, weil uns trotz der Attraktivität unseres Sports die Reichweite immer größere Bauchschmerzen macht. Immerhin wird wohl im Free-TV weiterhin eine große Anzahl Top-Spiele der Volleyball Bundesliga Frauen gezeigt. Ich hoffe, dass wir im Herbst wieder Fans in der Halle haben, und dass wir die Zuschauerzahlen der Vorjahre wieder erreichen können.
„Wir wollen zum DVV-Stützpunkt werden und für die nationale Spitze ausbilden“
Zum Nachwuchsbereich
Herr Fetting, Sie wollen für die nationale Spitze ausbilden. Wie soll das gelingen?
Christopher Fetting: Perspektivisch brauchen wir eine Gesamtstrategie für Wiesbaden als Sportstadt. Dafür müssen aber alle leistungssportorientierten Vereine verschiedener Disziplinen an einem Strang ziehen, dazu gehören neben Volleyball auch Judo, Leichtathletik und Schwimmen. Das ist mühsam, aber ich arbeite mit den Kollegen daran. Wir müssen gemeinsam gegenüber der Politik belastbare Argumente und Lösungen vortragen können. Wir wollen nicht nur nehmen, sondern auch geben. Ein Sportinternat in Verbindung mit der Elly-Heuss-Schule, dann hoffentlich auch als Eliteschule des Leistungssports zur Förderung junger deutscher Leistungssportler, ist extrem wichtig für uns Vereine, aber auch für die Sportstadt Wiesbaden und das Sportland Hessen. Wir Volleyballer sind verpflichtet, ein Nachwuchsleistungszentrum einzurichten. Zudem wollen wir DVV-Stützpunkt werden und so breit für die nationale Spitze sichten und ausbilden. Der Raum Wiesbaden reicht da beileibe nicht. Wir müssen hochprofessionelle Trainingsmöglichkeiten für möglichst viele Talente aus ganz Südwestdeutschland schaffen.
„Perspektivisch brauchen wir eine Gesamtstrategie für Wiesbaden als Sportstadt“
Viele Talente gehen verloren, weil sie in die Berufsausbildung oder ins Studium gehen.
Christopher Fetting: Ja, auch das ist ein Argument für ein Sportinternat. Bei uns sind derzeit über 60 Prozent der Nachwuchsspielerinnen im hessischen Landeskader. In die Bundesligamannschaft schafft es aber kaum eine. Die Kluft ist einfach zu groß. Das müssen wir ändern. Die Olympiaathleten erhalten eine nachschulische Karriereplanung. Die wollen wir in unserem Bereich künftig auch anbieten. Das bedeutet, dass wir auch Arbeitgeber motivieren müssen, Spielerinnen bzw. Mitarbeiterinnen genügend Freiraum fürs Training einzuräumen. Wenn die Möglichkeit besteht, Ausbildung und Leistungssport verträglich zu verbinden, dann überzeugen wir auch die Eltern.
Beim Frauen-Volleyball zieht sich der Bund sukzessive aus der Förderung zurück. Wie wollen Sie gegensteuern?
Christopher Fetting: Derzeit gibt es noch acht Bundesstützpunkte, die fallen aber mittelfristig weg, daher muss sich Volleyball-Deutschland ganz neu aufstellen. Die Vereine sollen in die Pflicht genommen werden. Bis 2024/25 muss jeder Frauen-Erstligist ein Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut haben. Und in den Folgejahren auch die Zweitligisten, davon gibt es eine ganze Reihe auch im Großraum Wiesbaden. Wir wollen mehr, nämlich zum DVV-Stützpunkt werden. Bisher gibt es nur einen in München. Der Fokus liegt auf hoher Trainingsintensität, gezielter Förderung und paralleler schulischer Ausbildung. Die Spielerinnen treten als Stützpunktteam nach ihren Jahrgängen in den regulären Vereinsligen an. Den Schritt zum DVV-Stützpunkt, dem höchsten Prädikat des Deutschen Volleyball-Verbandes, traut man uns dort auch zu. Das Ziel ist, am Standort Wiesbaden gemeinsam mit dem hessischen Volleyballverband alle Talente aus Hessen auch in Richtung Juniorennationalkader auszubilden. Wir brauchen dann aber auch einen hauptamtlichen Landestrainer für den weiblichen Volleyball in unseren Landesverband. Da muss auch das Land mitspielen.
Vielen Dank für das Gespräch.