Im Interview: VCW-Geschäftsführer Christopher Fetting
„Wir tun alles dafür, unseren attraktiven
Sport noch bekannter zu machen“
VCW-Geschäftsführer Christopher Fetting im Interview mit Sabine Ursel
Christopher, die Volleyball Bundesliga Mitte Juni neun Lizenznehmern grünes Licht für die nächste Lizenzierungsrunde der 1. Volleyball Frauen gegeben, darunter auch dem VCW. Das bedeutet aber keinesfalls Aufatmen, oder?
Christopher Fetting: Nein. Wir hatten über das vergangene Jahr hinweg, sagen wir mal so, enorme Herausforderungen zu bewältigen. Sportlich und natürlich wirtschaftlich. Ich erinnere an den Abzug von drei Punkten in der Hauptrundentabelle aufgrund unseres zu geringen Eigenkapitals in der Saison 2022/23. Sanktionen betrafen ja nicht nur uns. Sie wurden am 2. Februar 2024 offiziell verkündet, als wir gerade auf dem Rückweg vom Europapokalspiel bei Igor Gorgonzola Novara waren. Noch im Bus wurde unsere Pressemitteilung hierzu verfasst. Wir haben im Übrigen Auflagen zur Konsolidierung zu erfüllen, die auch über die kommenden sechs Jahre hinweg echte Kraftanstrengungen erfordern. Hinzu kommt: Die Pandemie und ihre Nachwirkungen haben eine echte Zäsur bedeutet. Das betrifft nicht nur den Volleyballsport. Der Sponsoren- und Zuschauerzuspruch ist längst noch nicht wieder auf Vor-Corona-Niveau. Ob und wann wir das wieder erreichen können, weiß keiner. Wir tun jedenfalls alles dafür, unseren attraktiven Sport noch bekannter zu machen.
Stichwort Novara: Dass der wirtschaftlich gebeutelte Underdog aus Hessen bis ins Halbfinale des CEV Volleyball Challenge Cups vorgedrungen ist, hat die Volleyballwelt erstaunt. Liga-Geschäftsführer Daniel Sattler sprach im Volleyball Magazin von einem der „absoluten Höhepunkte“. In der 1. Bundesliga stand am Ende der 6. Platz auf dem Tableau. Wie sieht Dein sportliches Fazit aus?
CF: Insgesamt gesehen hat unsere Mannschaft ihre Ziele klar erreicht. Wir haben gleich mehrfach ein Feuerwerk zünden können. Die begeisternden Hin- und Rückspiele im CEV Volleyball Challenge Cup waren ganz klar die Highlights. Und auch die Playoffs haben wir wieder erreicht. Rang 6 in der Liga entsprach allerdings nicht unseren Vorstellungen. Die Chancen für eine bessere Platzierung, auch in der oberen Tabellenhälfte, waren ja da. Aber durch die vielen englischen Wochen mit unserer Doppelbelastung in der Liga und im internationalen Wettbewerb sowie mit der zusätzlichen Zwischenrunde haben wir eine Handvoll Körner zu viel gelassen, was uns in manchen neuralgischen Situationen entscheidende Punkte gekostet hat. Am Ende hatten wir sechs Spiele mehr als unser Viertelfinalgegner Dresden auf der Uhr … Fakt ist aber, dass unser Trainer- und Betreuerstab die Mannschaft sehr gut und sehr fokussiert durch die anstrengenden Monate geführt hat. Uns allen ist es gelungen, den Volleyballstandort Wiesbaden im zwanzigsten Jahr der Zugehörigkeit zur 1. Bundesliga Frauen auch über die Landesgrenzen hinaus signifikant zu stärken.
Für die gesamte Organisation war die ungewöhnlich anstrengende Saison eine mit vielen Unbekannten.
CF: Allerdings. Wir mussten parallel zum Ligabetrieb mit der gleichen Besetzung ja auch Europa planen. Wer international spielt, hat sehr viele Anforderungen zu erfüllen: des internationalen Verbandes, der jeweiligen nationalen Behörden etc. Dazu kommt ein beträchtlicher Logistikaufwand mit Flug- und Busreisen, mit Unterbringung, Trainings, Bekleidung, Technik und anderem Equipment, mit speziell geforderter Herrichtung der Halle, mit Betreuung der Gastteams und ihren Anhängern. Sportlich gesehen ist unserem Staff die Belastungssteuerung unserer in höchstem Maß geforderten Athletinnen sehr gut gelungen. Auch das war ja neu. Wir sind ohne große Blessuren durch die Saison gekommen. Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bei jedem einzelnen Beteiligten, also auch bei unseren vielen wackeren Ehrenamtlichen, ohne die wir niemals so ein großes Rad drehen könnten.
Nicht alle Clubs, die sich sportlich für den internationalen Wettbewerb qualifizieren, nehmen dann auch teil. Der Aufwand auf allen Ebenen erscheint zu hoch. Der VCW hat das Abenteuer gewagt.
CF: … und gewonnen, und zwar nicht nur an Erfahrung. Wir hatten viel Glück, auf äußerst attraktive Gegner zu treffen. Galatasaray Istanbul, PAOK Thessaloniki und Igor Novara sind nicht nur sportliche Schwergewichte, sie haben auch eine große Anhängerschaft und tolle Stimmung nach Wiesbaden mitgebracht. Wir hatten dreimal eine ausverkaufte Halle mit 2.100 Zuschauern. In Istanbul und Thessaloniki selbst waren vielleicht 10 Prozent davon in den beiden Arenen, in die normalerweise viele tausend Fans passen. Das zeigt, was bei uns noch geht. Wir haben viel für das Image unseres Sports und der ganzen Region tun können, auch durch Unterstützung unserer Sponsoren, Partner und der städtischen Politik. Wirtschaftlich haben wir das Ganze mit einem leichten Plus beendet. Das tat gut, keine Frage.
Und nun steht das nächste Abenteuer Europa an, weil der VfB Suhl Lotto Thüringen als zuletzt Ligafünfter sein Startrecht nicht wahrnehmen wird.
CF: Ja, wir nehmen wieder teil. Ich habe schon früher gesagt: Wenn sich die Möglichkeit ergibt, machen wir das. Also nutzen wir auch in dieser Saison die uns gebotene Gelegenheit, als direkter Nachrücker im Europapokal anzutreten. Wir wollen keine Eintagsfliege produzieren. Wir wollen uns international als Vertreter und Gewicht der höchsten deutschen Liga etablieren. Das ist freilich in jeder Saison ein schmaler Grat zwischen sportlichem Wert und wirtschaftlichem Risiko. Dessen sind wir uns sehr wohl bewusst. Auf Teufel komm raus treiben wir sicher nichts voran. Wir sind dabei, weitere Partner für unser Projekt Europa zu gewinnen. Dafür platzieren wir erfolgsorientierte, faire modulare Pakete. Motto: „Wir unterstützen Frauen-Power aus Hessen bei der sportlichen Reise durch Europa.“ Das Interesse ist da, denn erweiterte öffentliche Präsenz macht ja allen Beteiligten Spaß.
Wie sieht es derzeit konkret in Sachen Finanzen beim VCW aus?
CF: Es hat uns viel Energie gekostet, die vergangene Saison zu managen. Der Punktabzug war ja nur eine der Konsequenzen, die wir angesichts unseres großen Defizits tragen mussten. Durch Unterstützung von Partnern und anderen Maßnahmen ist es uns inzwischen gelungen, die Bürgschaft der Stadt Wiesbaden zu kapitalisieren. Jetzt gilt es die Defizite abzubauen, den Haushalt moderat zu konsolidieren und Liquidität zu sichern. Konkret: Ich setze auf einen gesunden Mix aus Kostenoptimierung und Wachstum. Leicht ist das freilich nicht, zumal einige Posten signifikant gewachsen sind, die wir nicht selbst beeinflussen können, das sind etwa die Unfallversicherung unserer Spielerinnen in der höchsten Gefahrenklasse oder auch die sonstigen Kosten für die Unterbringung und Mobilität unseres Kaders. In Absprache mit der Liga wird uns das komplexe Gesundungsmaßnahmenpaket noch bis 2030 beschäftigen. Wir sind aber davon überzeugt, dass die Marke VC Wiesbaden rund um Hessens schlagfertigste Frauen noch sehr viel mehr Potenzial bietet. Das arbeiten wir heraus, müssen uns dafür aber auch organisatorisch breiter aufstellen. Für die neue Saison gibt es jedoch noch eine Menge für uns zu tun und dabei hoffen wir auch auf die kurzfristige Unterstützung aus der Wirtschaft.
Das Ganze steht und fällt aber auch mit dem Kader. Nur durch überdurchschnittliche Leistungen und möglichst viele Highlights lassen sich Sponsoren binden und neue motivieren.
CF: Das ist klar. In den vergangenen drei Jahren ist es uns gelungen, die Abgänge von Leistungsträgern durch eher unbekannte neue Athletinnen zu kompensieren. Wir müssen im Vergleich mit Clubs wie Stuttgart oder Schwerin sehr viel genauer hinschauen, was sich auf dem Markt tut und was angemessen bezahlbar ist. Auch wenn es jetzt für alle in Deutschland schwerer wird, weil die neue LOVB-Profiliga in den USA, aber auch andere europäische Ligen mit vermeintlich besserer wirtschaftlicher Ausgangslage viele gute Spielerinnen absorbieren. Dadurch wird das hiesige verknappte Angebot automatisch teurer. Verborgenes Potenzial schlummert aber immer irgendwo. Wir tun dann hier alles dafür, dass die Saat bei uns aufgeht. Wenn sich jemand bei uns besonders gut entfaltet, wie etwa zuletzt Izabella Rapacz auf der wichtigen Diagonalposition, dann greifen wesentlich finanzstärkere Clubs nun einmal rasch zu. Das können wir nicht verhindern. Wir sind mittlerweile bekannt als ein Verein, der gut scoutet und gut aus- bzw. weiterbildet. In der anstehenden Saison spielt die Hälfte der Mannschaft weiterhin für den VCW, das ist eine gute Basis. Und die neuen Spielerinnen sind vielversprechend. Sie haben richtig Bock, bei uns den nächsten Schritt zu gehen. Unsere Fans dürfen sich wieder auf ein attraktives Team freuen, das unsere Ziele ambitioniert angeht.
Der VCW bietet mit seinem rein weiblich ausgerichteten Leistungssportsegment einen speziellen USP. Ein Alleinstellungsmerkmal, das andere Clubs nicht haben. Wie baust Du das in die Vermarktung ein?
CF: Wir sind im Raum Wiesbaden-Mainz der höchstrangige Profi-Club im Frauensport. Im erweiterten regionalen Umfeld bewegen wir uns mit den Fußballdamen der Frankfurter Eintracht auf einer Ebene. Aber wir bieten als einziger das Alleinstellungsmerkmal eines reinen Frauenclubs. Wir repräsentieren Frauen-Power auf und neben dem Platz mit starken Persönlichkeiten und stehen für Themen wie Gleichberechtigung und Equal Pay – in unserem Sport auch ohne ein Gender Pay Gap, übrigens nicht erst seit gestern. Wir sind ernsthafte Botschafter und müssen das nicht erst durch aufwändige Kampagnen beweisen. Wichtig ist auch zu betonen: Der VCW hat rund 40 Nachwuchsmannschaften, die von qualifizierten Trainern betreut werden. Hier wird Disziplin und Teamwork erlernt. Gut ausgebildete Sportler können sich motivieren und sind fokussiert. All das sind Attribute, die auch später im beruflichen Leben von Vorteil sind. Und davon profitieren dann auch die jeweiligen Arbeitgeber. Alle diese Assets sollten wir noch stärker betonen, um bei Partnern Interesse und schlussendlich finanzielle Unterstützung zu generieren. Eine Idee ist zum Beispiel, dass sich potenzielle Arbeitgeber an einem Spieltag unseren Zuschauerinnen und Zuschauern präsentieren. Auch das Thema Business-Partnerschaften wollen wir weiter voranbringen. In diesem Zusammenhang ist noch eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten denkbar.
Viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch.